Keine Wahlgleichheit für kleine Parteien

Verfassungsgerichtshof NRW verwirft neues Berechnungsverfahren für Kommunalwahlen

Der Verfassungsgerichtshof NRW hat kurz vor den Kommunalwahlen einen Rechtsstreit zwischen dem Land und mehreren kleinen Parteien beendet. Er fand: Das neue Berechnungsverfahren im Kommunalwahlrecht führe systematisch zu einer Benachteiligung kleinerer Parteien und schmälere dadurch ihre Chancengleichheit sowie das Recht auf Gleichheit der Wahl. Für die anstehende Wahl im September gilt nun das alte Berechnungsverfahren weiter. 

Worum ging es in dem Streit?
Es ging um die Verfahren, mit denen die Wählerstimmen bei Kommunalwahlen in Mandate umgerechnet werden.

Grundsätzlich gilt: Jede Wählerstimme zählt und entsprechend werden die Mandate in den kommunalen Vertretungskörperschaften wie Stadt- und Gemeinderat oder Kreistagen nach Verhältnis der Wählerstimmen vergeben. Das geht aber meistens nicht glatt auf. Wahlergebnisse sind selten ganze Zahlen, sondern weisen Werte hinter dem Komma auf. Vergeben werden können aber nur ganze Sitze.
In der Regel bleibt also ein Rest an Mandaten, die bisher nach Rundungsregeln vergeben wurden: Ein Ergebnis von weniger als 0,5 hinter dem Komma wurde automatisch ab-, eines größer 0,5 auf die nächste ganze Zahl aufgerundet, und die Mandate entsprechend dieser Stimmverteilung vergeben.

Eine Mehrheit von CDU, Grünen und SPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen fand: Auf diese Weise gehen unverhältnismäßig viele solcher Restmandate an kleine Parteien, auch wenn diese in den Kommunen von weniger Menschen gewählt wurden. Die Verteilung nach dem bisherigen Rechenweg verzerre daher systematisch den Wählerwillen.

2024 änderte der Landtag das Kommunalwahlrecht: Die Wahlergebnisse aller Parteien sollten nun halbiert und die Restmandate an jene Parteien vergeben werden, die bei dieser Art der Berechnung dem nächsthöheren glatten Wert am nächsten kommen.

Wer hat hier geklagt – und mit welcher Begründung?
Gegen das neue Verfahren hatten die Landesverbände der Parteien Volt, Piratenpartei, BSW, FDP, Linke und „die Partei“ vor dem Landesverfassungsgerichtshof Klage erhoben. Sie fürchteten, künftig auf kommunaler Ebene deutlich weniger Mandate zu erhalten. Zusammengerechnet kommen sie landesweit jeweils auf mehrere hundert bis mehrere tausend Stimmen, die dann, so sagen sie, in der Kommunalpolitik nicht mehr repräsentiert wären.

Die klagenden Parteien haben ausgerechnet, dass das neue Kommunalwahlrecht einer Sperrklausel in Höhe von 4 Prozent gleichkäme. Eine Sperrklausel in Höhe von 2,5 Prozent für Kommunalwahlen hatte der Landesverfassungsgerichtshof bereits 2017 für als mit der Landesverfassung unvereinbar erklärt. Sie verstoße gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit.    

Was macht den Fall so kniffelig?
Es gibt kein Berechnungsverfahren, nach dem sämtliche zu vergebende Mandate bis auf die allerletzte Wählerstimme aufgeteilt werden könnten. Bei jedem Verfahren bleiben mathematische Abstriche. Der Fall ist also eine Abwägungsfrage: Welches Rechenverfahren kommt dem Wählerwillen am nächsten – und wie lässt sich das begründen?

Dafür ist hier der Landesverfassungsgerichtshof zuständig, denn das Kommunalwahlrecht ist Landesrecht und muss im Zweifel mit der Landesverfassung vereinbar sein.  

Wie hat der Verfassungsgerichtshof NRW entschieden?
Der Landesverfassungsgerichtshof hat den kleinen Parteien Recht gegeben und das neue Berechnungsverfahren für ungültig erklärt.

Er hat beide möglichen Rechenwege am Beispiel der vergangenen Kommunalwahl durchgerechnet und festgestellt: Nach dem neuen Rechenweg hätten die kleinen Parteien tatsächlich deutlich weniger und die größeren deutlich mehr Mandate erhalten. Während nach der alten Berechnung alle Parteien gleichermaßen und zufällig Rundungspech oder Rundungsglück haben konnten, führe die neue Art der Berechnung dazu, dass meistens die Parteien mit mehr Stimmen auch näher an den Wert für die Zuteilung der Restmandate liegen. Außerdem habe der Gesetzgeber den Wechsel der Berechnungsart nicht hinreichend begründet.   

Insgesamt sei der Wählerwille durch das neue Verfahren keineswegs besser abgebildet, sondern im Gegenteil die Chancengleichheit der kleinen Parteien und die Gleichheit der Wahl verletzt.

Allerdings stimmte der Verfassungsgerichtshof nicht einstimmig ab. Drei Richterinnen und Richter schlossen sich der Argumentation des Gesetzgebers an.

Was heißt das Urteil für die anstehende Kommunalwahl?
Das neue Berechnungsverfahren darf nicht angewandt werden. Es gilt zunächst die alte Formel weiter.

Die Mitteilung des Verfassungsgerichtshofes NRW können Sie unter diesem Link aufrufen. Dort finden Sie auch die Anträge der jeweils klagenden Parteien.