Drei Jahre Krieg gegen die Ukraine

"Wir haben uns der naiven Vorstellung hingegeben, dass Demokratie kein Gut ist, das wir verteidigen müssen."

Nora Krug ist vielfach ausgezeichnete Autorin und Illustratorin. Im ersten Jahr des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine führte sie schriftliche Interviews mit zwei Menschen, die ganz unterschiedlich betroffen waren und sind: die ukrainische Journalistin K. in Kiew und der russische Künstler D. in St. Petersburg. "Im Krieg" heißen die illustrierten Tagebücher, in denen die Eindrücke festgehalten sind. Das Werk ist auch im Publikationsprogramm der Landeszentrale erhältlich. 

Wie geht es den beiden Hauptfiguren heute? Wie blickt die Autorin im Jahr 2025 auf ihr Werk, auf die Möglichkeiten der künstlerischen Auseinandersetzung und die Erschöpfung der deutschen Gesellschaft? Wir haben Nora Krug – ebenfalls schriftlich – dazu befragt.

Frau Krug, wie schauen Sie auf den 3. Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine?

Mit Besorgnis. Das Opfer, das die Ukrainer aufbringen müssen, um für ihr Land und auch für die Freiheit ganz Europas zu kämpfen, ist immens. So viele Jahre mit der täglichen Angst, dem Schmerz und der Unsicherheit zu leben, verlangt den Menschen unvorstellbare Kräfte ab. Es ist ganz offensichtlich, dass Russland diesen Kampf nie aufgeben wird, und wenn die Ukraine unter der neuen US-Regierung die Unterstützung der USA verliert, wird sie Schwierigkeiten haben, sich effizient zur Wehr zu setzen. Dies könnte auch eine Ausweitung des Konflikts auf Westeuropa bedeuten. Deutschland wäre auf diese Realität  ganz und gar nicht vorbereitet.

Wie geht es D. und K. heute?
K. wohnt nach wie vor mit ihrer Familie in Kopenhagen, wo sich nun auch ihr Mann aufhält, der sich dort um seine kranken Eltern kümmert. Sie pendelt zwischen Dänemark und der Ukraine, wo sie immer wieder Erste-Hilfe-Workshops für Journalisten und Zivilisten leitet, die sowohl dabei helfen sollen, Leben zu retten als auch mental besser mit dem Leben im Krieg umgehen zu können. D. lebt nun mit seiner ganzen Familie im Ausland und kann seine Heimat, aus Angst in die russische Armee eingezogen zu werden, nicht mehr besuchen.

Viele haben vor drei Jahren damit gerechnet, dass der Krieg schnell vorbei sein wird. Nun sehen wir, dass er längst unser aller Leben und Zusammenleben erfasst hat. Würden Sie sagen, dass wir das in Europa angemessen wahrnehmen?

Das kann ich von Amerika aus schlecht beurteilen, aber angemessen wahrnehmen kann man Krieg eigentlich nur, wenn man ihn am eigenen Leib erfährt. Ich glaube, dass sich die meisten Westeuropäer nur schlecht vorstellen können, was es bedeutet, von einer benachbarten Weltmacht angegriffen zu werden. Wenn der Krieg sich auch nach Deutschland ausbreiten sollte, weiß ich nicht, in welcher Form wir uns erfolgreich verteidigen könnten. 

Nach so vielen Jahren des pazifistischen Nachkriegsdenkens und der passiven Tolerierung von Putins Ideologien sind wir weder militärisch angemessen ausgestattet, noch haben wir die patriotische Überzeugung inne, die es für die freiwillige Beteiligung junger Menschen am aktiven Kriegsgeschehen bräuchte. Wir haben uns Jahrzehnte lang der naiven Vorstellung hingegeben, dass Demokratie ein anhaltender Zustand ist, statt ein hohes Gut, das wir immer wieder aufs Neue verteidigen müssen.

Welche Macht hat eine Demokratie insgesamt, aber auch jeder einzelne in ihr, auf solche gesellschaftlichen Entwicklungen Einfluss zu nehmen?  

Wir haben mehr Macht als wir glauben, denn Widerstand kann ganz unterschiedliche Formen annehmen: er kann im Kleinen und im Großen geschehen. Der Widerstand gegen tyrannisches Verhalten beginnt auf dem Spielplatz. Eltern und Lehrer müssen ihren Kindern früh beibringen, wie wichtig es ist, zwischen richtigem und falschem Verhalten zu unterscheiden, und Verantwortung daran zu tragen, Unrecht zu verhindern. Unsoziales, egoistisches Verhalten muss konsequent bestraft werden.

Als erwachsene Menschen nehmen wir tagtäglich an demokratischen oder anti-demokratischen Prozessen teil, ohne dies unbedingt bewusst wahrzunehmen. Was für Fleisch wir essen, wo wir unsere Kleider kaufen, welche Social-Media- Plattformen wir benutzen – solche alltäglichen Entscheidungen haben direkte Konsequenzen für das Leben anderer auf diesem Planeten. Wir können unsere Demokratie schützen, indem wir wählen, Geld spenden, demonstrieren, keine Angst haben, unsere Meinung zu äußern, auch wenn das für uns von finanziellem oder gesellschaftlichem Nachteil ist, oder uns einfach nur in unserer Gemeinschaft zu engagieren, indem wir diejenigen schützen, die weniger Vorteile haben als wir.

Politik findet nicht nur im Bundestag statt. Wir vergessen allzu oft (und lernen auch in der Schule viel zu wenig) über diejenigen Deutschen, die unter dem Naziregime ihre Freiheit und ihr Leben für die Demokratie geopfert haben. Sogar damals hatten die Menschen eine Wahl, und auch wir haben heute eine Wahl – und müssen dabei viel weniger riskieren, als die Menschen damals.

Was braucht es, um eine erschöpfte Gesellschaft wieder dazu zu bewegen, sich seinen Gegenüber anzusehen, mitzufühlen, zu verstehen?

In einem Land, in dem Frieden und Demokratie herrschen, in dem Bildung kostenlos und Krankenversicherung bezahlbar ist, ist es mir unverständlich, wie man von Erschöpfung sprechen kann. Es gibt nur wenig andere Länder auf der Welt, in denen Menschen so viel Freiheit und Sicherheit genießen, wie in Deutschland. Dieses Privileg kommt mit einer Verantwortung. Das Problem ist, dass sich die Deutschen über Jahrzehnte daran gewöhnt haben, dass der Staat sich um alles kümmert. Unsere Erwartungshaltung ist sehr hoch, und wir vergessen dabei, dass es eigentlich an uns liegt, die Zukunft sinnvoll zu gestalten und unsere Privilegien aktiv durch demokratische Prozesse zu verteidigen. Passivität und Resignation sind in der jetzigen Lange vollkommen unangebracht. Empathie anderen gegenüber ist eine natürliche Reaktion, und nichts, was man als Erwachsener erst noch lernen muss.

"Im Krieg" ist ein journalistisches Werk in ungewöhnlicher Form. Es gibt keine Fotos oder Filme. Sie haben Ihre eigenen inneren Bilder gezeichnet. Das kann nicht jeder so wie Sie. Wie können wir die Medien, die wir haben, nutzen, um einander besser zu verstehen?

Neben der Berichterstattung in den Nachrichten empfinde ich es als sehr wichtig, dass wir uns auch durch künstlerische Medien mit Konflikten und politischen Prozessen beschäftigen. Bücher und Bilder, die sich auf die persönliche Erfahrung mit Krieg konzentrieren, schaffen einen emotionaleren Blick auf die Erlebnisse einzelner Personen, durch die wir besser verstehen können, was Krieg eigentlich bedeutet. Zeichnen und Schreiben sind für mich daher ein Akt der Empathie.

Über die Autorin

Nora Krug (geboren 1977) wuchs in Karlsruhe auf, bevor sie in Liverpool, Berlin und New York Performance Design, Dokumentarfilm und Illustration studierte. Sie ist Professorin für Illustration an der Parsons School of Design in New York, wo sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebt. Ihr Werk bezeichnet sie selbst als "visuellen Journalismus". Ihre Recherchen bereitet sie sowohl in Textform als auch in Illustrationen auf, die sie zu einer ganz eigenen erzählerischen Struktur verschränkt. So entstehen künstlerisch illustrierte Zeitungsbeiträge, Graphic Novels oder Künstlerbücher, die auf der ganzen Welt Beachtung finden.

Zur Website von Nora Krug (auf englisch)

Das Werk: "Im Krieg" - zwei illustrierte Tagebücher

Die ukrainische Journalistin K. und der russische Künstler D. erzählen, was der Krieg für sie bedeutet und wie sie leben. Was es heißt, wenn das eigene Land zerstört wird. Wie es sich anfühlt, mit seiner Heimat zu hadern, weil die eigenen Überzeugungen nicht mit dem Krieg, den das eigene Land führt, vereinbar sind. Das Buch können Sie kostenlos bei der Landeszentrale für politische Bildung bestellen.

zur Bestellseite