
Verfassungsstreit beigelegt: Corona-Kredite in NRW waren zulässig
Für die finanzielle Bewältigung herausragender Krisen hat das Finanzministerium viel Entscheidungsspielraum – obwohl in Haushaltsfragen der Landtag zuständig ist. Das hat der Landesverfassungsgerichtshof (VerfGH) klargestellt und eine Klage gegen Corona-Kredite zurückgewiesen. Lesen Sie hier, worum es in dem Verfahren ging und wie der VerfGH abgewogen hat.
Worum ging es in dem Fall?
Strittig waren vier Kredite, die das Ministerium der Finanzen in Nordrhein-Westfalen aufgenommen hatte, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Bereits unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie hatte der Landtag NRW im März 2020 per Gesetz ein Sondervermögen, den NRW-Rettungsschirm, beschlossen. Daraus sollten erhöhte Gesundheitsausgaben, aber auch Wirtschaftshilfen oder Zuschüsse an durch die Pandemiemaßnahmen eingeschränkte Vereine oder Kultureinrichtungen finanziert werden.
Im Herbst 2022 stockte das Finanzministerium den NRW-Rettungsschirm um weitere mehr als vier Milliarden Euro auf und nahm dafür die nun strittigen Kredite auf. Allerdings ging die Pandemie zu diesem Zeitpunkt bereits zu Ende. Der NRW-Rettungsschirm wurde zum 31. Dezember 2022 eingestellt, das Geld aus den Krediten nicht mehr ausgegeben.
Wer hat geklagt?
Im Rahmen eines so genannten Organstreitverfahrens hatten die SPD- und FDP-Fraktionen des Landtags gegen die Kreditaufnahmen geklagt. Normalerweise ist in Haushaltsfragen der Landtag zuständig. Der aber wurde bei Aufnahme der Kredite nicht erneut befragt.
Die Klägerparteien argumentierten, dass die Mittel aus den Krediten zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht mehr nötig gewesen wären und das Finanzministerium diese aufgenommen habe, um den regulären Haushalt 2023 abzudecken. Das sei ein Verstoß gegen das Budgetrecht.
Das Finanzministerium hingegen machte geltend, dass die Entwicklung der Corona-Folgen auch Ende 2022 nur schwer abzusehen gewesen sei. Das Gesetz zum NRW-Rettungsschirm habe eine ausreichende rechtliche Grundlage geschaffen, weitere Kredite aufzunehmen, ohne erneut im Landtag abzustimmen.
Wie hat der Landesverfassungsgerichtshof entschieden?
Der VerfGH NRW hat zwei Entscheidungen getroffen: Einmal wies er einen Teil der Klage als formal unzulässig zurück, weil diese sich gegen die gesamte Landesregierung richtete. Zulässiger Gegner in diesem Organstreitverfahren sei jedoch lediglich das Ministerium der Finanzen gewesen.
Mit dem zulässigen Teil der Klage beschäftigte sich der VerfGH auch inhaltlich und wies diese als unbegründet zurück. Das Finanzministerium habe sich im Rahmen der durch den Landtag geschaffenen gesetzlichen Grundlage bewegt. Zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme sei tatsächlich nicht absehbar gewesen, welche finanziellen Folgen noch auf das Land zukommen würden. Im Bereich des Möglichen habe sowohl gelegen, dass die Kredite nicht mehr benötigt werden, als auch, dass noch weitere Kredite aufgenommen werden müssen.
Bei seiner Entscheidung habe das Finanzministerium zudem berücksichtigen dürfen, dass ein kurzfristiges Absagen der bereits ausgehandelten Kredite zu einem Reputationsverlust am Kapitalmarkt geführt hätte. Das wieder hätte sich in Form schlechterer Konditionen auf weitere Kreditaufnahmen des Landes in der Zukunft ausgewirkt.
Der VerfGH hat sich auch angeschaut, was mit den nicht aufgebrauchten Krediten geschehen ist. Diese würden aktuell ausschließlich für Zinszahlungen und die Tilgung genutzt. Hinweise auf eine zweckwidrige Verwendung für andere Posten im Landeshaushalt fanden der VerfGH nicht.
Die Entscheidung ist allerdings knapp ausgefallen. Vier der sieben beteiligten Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter entschieden die Klage abzuweisen, drei dagegen.
Warum ist der Fall so bedeutsam?
Die Frage nach der Zulässigkeit von Sondervermögen beschäftigt seit einiger Zeit die Verfassungsgerichtsbarkeiten von Bund und Ländern. Grund sind die vielen unterschiedlichen Krisen, die zu bewältigen waren und sind; neben der Corona-Krise betrifft das auch den Klimawandel, den Ukraine-Krieg und die Ausstattung der Bundeswehr oder die dringend erforderliche Instandhaltung von Brücken, Straßen oder Schienen. Hier kommen immer öfter solche Sondervermögen zum Einsatz. Das zuständige Parlament entscheidet über Einrichtung, Ausstattung und Spielregeln – über die konkrete Verwendung der Mittel weitgehend die Finanzverwaltung.
Sowohl das Grundgesetz, als auch die Landes- und kommunalen Verfassungen jedoch weisen das Budgetrecht bei den Vertretungskörperschaften zu. Wer über den Haushalt entscheidet, hat viel Einfluss auf politische, soziale und auch wirtschaftliche Entwicklungen. Die Verfassungstheorie sieht das Haushaltsrecht dort, wo die Bürgerinnen und Bürger am konkretesten an den Entscheidungen beteiligt sind. Das sind die Parlamente, Kreistage oder Stadt- und Gemeinderäte. Kritikerinnen und Kritiker sehen in solchen Sondervermögen die Gefahr, dass sie zu weit ins Budgetrecht der Vertretungskörperschaften eingreifen.
Im Fall der Corona-Kredite hat der Landesverfassungsgerichtshof nun entschieden, dass das Sondervermögen aus dem NRW-Rettungsschirm tatsächlich weit ins Budgetrecht des Parlaments eingegriffen hat. Dieser Eingriff sei aber sachlich gerechtfertigt gewesen.
Mehr zu diesem und weiteren Fällen lesen Sie auf den Seiten des Landesverfassungsgerichtshofes.