
Faktencheck: So verbreitet ist Hass im Netz
Der Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher geht in diesem Jahr an einen Jugendroman über Hatespeech und den Rechtsruck im Internet. Eine Studie zeigt: Vor allem junge Menschen müssen sich damit immer öfter auseinandersetzen.
Der Autor Jörg Isermeyer hat für seinen Roman „Egal war gestern“ viel recherchiert. Überrascht habe ihn, wie sehr rechte Accounts in den sozialen Medien den Ton angeben und wie wenig klassische Medien darüber berichten, sagte er im Gespräch mit der Landeszentrale. Welche Erkenntnisse gibt es dazu aus der Wissenschaft?
"Lauter Hass, leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht“ ist eine der größten Befragungen von Internetnutzerinnen und -nutzern zu ihrer Wahrnehmung von Hass im Netz. Die Studie wurde im Herbst 2023 von vier Organisationen durchgeführt: Das NETTZ – Vernetzungsstelle gegen Hatespeech, GMK – Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und dem Neue deutsche Medienmacher*innen e.V.
Sie ließen bundesweit mehr als 3.000 Menschen befragen. Die Auswahl dieser Befragten erfolgte zufällig. Zudem wurden die erhobenen Daten mit den üblichen statistischen Verfahren geprüft. Die Studie ist also repräsentativ, ihre Ergebnisse lassen sich verallgemeinern.
Was ist mit Hass im Netz gemeint?
Die Macherinnen und Macher der Studie legten der Studie einen weiten Begriff von Hass zugrunde: "Hass im Netz bezeichnet eine Vielzahl unterschiedlicher, u. a. abwertender, entwürdigender, auf Einschüchterung zielender oder verhetzender Online-Phänomene gegenüber Personen oder bestimmten Personengruppen. Gemeint sind damit sowohl entsprechende Inhalte als auch Handlungen.“
Dazu führt die Studie aus: „Hass im Netz ist mehr als Hatespeech. Zum Beispiel rassistische Memes, ungewollte Dickpics oder online veröffentlichte Adressen.“
Die Wahl dieser Definition hat etwas mit der Forschungsfrage zu tun. Die Studie wollte herausfinden, wie Menschen Hass im Netz wahrnehmen und darauf reagieren. Das heißt: Nicht alles, was unter der Definition von Hass im Netz abgefragt wurde, ist strafrechtlich relevant, kann Menschen aber trotzdem dazu bringen, sich bedroht oder verängstigt zu fühlen und aus dem Netz zurückzuziehen. Dass muss die Studie berücksichtigen.
Umgekehrt nehmen Menschen nicht alles, was strafrechtlich relevant ist und aus wissenschaftlicher Perspektive die Definition von Hass im Netz erfüllt, auch als solchen wahr. So gab jede und jeder Vierte an, im Netz schon einmal beleidigt worden zu sein – nur etwa jede und jeder Achte aber, selber Hass im Netz erlebt zu haben. Nicht jede Beleidigung wird also als Hass wahrgenommen.
Wie nehmen die Menschen Hass im Netz wahr?
Grundsätzlich halten die meisten der Befragten, nämlich 89 Prozent, Hass im Netz für ein wachsendes Problem. Nur neun Prozent der Befragten nehmen das nicht so wahr. "Das Internet wird also als zunehmend hasserfüllt empfunden", heißt es in der Studie.
Knapp die Hälfte (45 Prozent) gaben an, bereits Hass im Internet gesehen zu haben; also beobachtet zu haben, wie eine Person oder Gruppe angegriffen, abgewertet oder eingeschüchtert wurde. 15 Prozent gaben an, so etwas selber erlebt zu haben.
Je jünger die Befragten, desto häufiger müssen sie sich damit auseinandersetzen. In der Altersgruppe 16-24 Jahren haben 69 Prozent der Befragten Hass im Netz beobachtet, ein Viertel war bereits selber betroffen. Junge Frauen gaben das noch häufiger an als junge Männer.
Die befragten Internetnutzerinnen und -nutzern nahmen außerdem wahr, dass Hass im Netz nicht alle Menschen gleichermaßen trifft, sondern manche ein höheres Risiko haben: Frauen, Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund, nicht-heterosexuelle Menschen und solche, die sich politisch engagieren.
Befragte, die sich selbst als politisch links oder politisch rechts der Mitte einordnen, nehmen mehr Hass im Netz wahr und sind auch häufiger selbst betroffen, als jene, die sich der Mitte zuordnen.
Welche Schlüsse ziehen die Menschen aus ihren Erfahrungen?
Viele Menschen nutzen zunächst die Möglichkeiten, die ihnen in den Plattformen gegeben sind. In der Studie gaben sie an, Accounts zu blockieren, Hasskommentare zu melden, ihr Profil auf privat zu stellen oder zu vermeiden, Kommentare unter Beiträgen zu lesen. Nur 5 Prozent haben sich demnach schon einmal an die Polizei gewandt und Anzeige erstattet.
Kritische Gegenrede bleibt häufig aus, vor allem dann, wenn die Nutzerinnen und Nutzer nicht selber betroffen sind. Lediglich 31 Prozent jener, die Hass im Netz beobachtet haben, haben auch angegeben, schon kritisch auf solchen Content reagiert zu haben. Unter denen, die bereits selber Ziel von Hass waren, sagten das mehr als doppelt so viele.
Die meisten ziehen sich still zurück; deaktivieren ihre Accounts, veröffentlichen keinen Content mehr, schalten sich nicht mehr in Debatten ein. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Menschen selbst bereits betroffen waren.
„Wird dabei berücksichtigt, dass Erfahrungen von Hass im Netz nicht alle gleich trifft, sondern vor allem Frauen sowie diskriminierte und marginalisierte Gruppen, wird deutlich, dass gerade die Stimmen verstummen, die vielfältige Perspektiven in unseren demokratischen Diskurs bringen“, heißt es in der Studie.
Fazit: Das Ergebnis der Recherchen von Jörg Isermeyer deckt sich wissenschaftlich belegt mit den Erfahrungen vieler Menschen im Netz. Ein besonders hohes Risiko, digitalen Hass zu erleben, haben Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen mit eher als links wahrgenommenen Themen in Verbindung gebracht werden. Wenn sie zum Ziel von Hass geworden sind, ziehen sie sich häufig zurück. Was wiederum dazu führt, dass Accounts, die Hass verbreiten, im Internet mehr und mehr den Ton angeben.
Die gesamte Studie können Sie hier herunterladen.
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